Blog: Zum Begriff „Partizipation“ als Grundprinzip in der Kongressplanung (vom Team des WeltWeitWissen-Kongress 2024)
Unter dem Oberthema „Globaler Zusammenhalt und Partizipation“ fokussiert die Veranstaltung 2024 eines der Kernthemen von Entwicklungspolitik und Globalem Lernen.
Dass Partizipation eine der Voraussetzungen für Empowerment und die Stärkung demokratischer Strukturen und Prozesse ist, ist weithin belegt und gilt sowohl für den lokalen als auch für den globalen Kontext. Für Transformationsprozesse, die zu globaler Nachhaltigkeit und einem guten Leben für alle führen sollen, ist Teilhabe und Dialog auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen erforderlich. Globales Lernen als Konzeption entwicklungspolitischer Bildungsarbeit nimmt dabei besonders die Befähigung und Chancen zur Teilhabe an den Aushandlungsprozessen (z. B. über die gerechte Nutzung von begrenzten natürlichen Ressourcen, die politischen Entscheidungen über Handelsbeziehungen, die Übernahme von Ownership u.a.) in den Blick. Weiterhin geht es um die Analyse von Strukturen globaler Verflechtungen und Austauschbeziehungen unter der Perspektive von gleichberechtigter Teilhabe.
Zu fragen ist immer: „Wer kann in welcher Weise teilhaben? … und wer ist (noch) ausgeschlossen?“
Partizipation als Grundprinzip der Kongressplanung und -durchführung
Die Kongressverantwortlichen verstehen Partizipation und Inklusion als „weiten“ Begriff, der die verschiedenen Barrieren in den Blick nimmt.
Wie in der UN-Behindertenrechtskonvention 2007 beschrieben, geht ein inklusiver Ansatz in diesem Sinne von der Besonderheit jeder Person aus und strebt an, die individuellen Bedürfnisse aller Menschen in dem Sinne zu berücksichtigen, dass ihre Teilhabe ermöglicht wird. Das zentrale Anliegen von Inklusion besteht somit darin, Ausgrenzung zu vermeiden, indem mögliche Zugangs- und Teilhabebarrieren abgebaut werden.
Bereits in der Präambel der UN-Behindertenrechtskonvention wird beschrieben, dass sich das Verständnis von Behinderung ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Diese Erläuterung verdeutlicht, dass ein Verständnis von „Behinderung“ nicht als fest definiertes Konzept verstanden wird, sondern von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig ist (vgl. www.behindertenrechtskonvention.info/menschen-mit-behinderungen-3755/, abgerufen am 02.03.2023).
Für die Kongressverantwortlichen heißt das beispielsweise, dass politische, soziale und ökonomische Teilhabe immer auch kritisch im Hinblick auf Diskriminierung und Rassismus geprüft wird. Spannend und herausfordernd ist dabei auch, konsequent lokale und globale Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, Interdependenzen herauszuarbeiten und an Beispielen aus der Praxis der Kooperationspartner:innen zu verdeutlichen.
Für den Begriff der „Partizipation“ wird das Modell von Straßburger/Rieger (2019) zu Grunde gelegt. Das Modell zeichnet sich dadurch aus, dass es Partizipation sowohl aus institutioneller als auch aus Perspektive von Bürger*innen fokussiert. Dabei benennen die Autor*innen zivilgesellschaftliches Engagement explizit als höchste Form der Partizipation.
epn Hessen will die Vorbereitung und Durchführung des Kongresses konsequent inklusiv gestalten und sieht die geplante Veranstaltung deshalb als Erprobungsfeld und Reflexionsort für Teilhabe auf verschiedenen Ebenen von Anfang an.
Blog: Bildung, Engagement und Aktivismus: treibende Kräfte für den Wandel (Karla-Felicitas Braun, VENRO e.V.)
In einer Zeit, in der Kriege, die Klimakrise, der Verlust der Biodiversität sowie soziale Krisen und globale Ungerechtigkeit dringend notwendige gesellschaftliche Veränderungen erfordern und gleichzeitig demokratische Prinzipien infrage gestellt werden, rechtsextreme Kräfte an Einfluss gewinnen und sich gegen transformativen Wandel stellen, brauchen wir verschiedene Ansätze, die Menschen zu gemeinschaftlichem Handeln für eine nachhaltige und gerechtere Zukunft ermutigen. Bildungsarbeit, Engagement und Aktivismus sind drei solcher Ansätze. Sie sind eng miteinander verbunden, wenn wir transformativ wirken und Menschen zum Handeln bewegen möchten. Ein Ziel von Bildung kann es sein, Menschen zu Engagement und Aktivismus zu motivieren und sie dazu befähigen, aktiv zu werden. Engagement und Aktivismus wiederum bieten oft praktische Räume für Bildungsprozesse.
Möglichkeiten und Grenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Ein zentraler Ansatz ist Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Sie befähigt Menschen, globale Zusammenhänge zu verstehen und sich als Teil einer weltweiten Gemeinschaft zu begreifen. BNE soll nicht nur Bewusstsein schaffen, sondern auch Handlungsräume eröffnen, in denen demokratisches Engagement und politisches Handeln gefördert werden.
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich mit der Agenda 2030 ehrgeizige Ziele für die nachhaltige Entwicklung (SDGs) gesetzt, um unsere Lebensgrundlagen zu bewahren und globale Ungleichheiten abzubauen. Mit dem Programm „BNE 2030“ hat die UNESCO 2020 einen Rahmen geschaffen, der Bildung als Schlüssel zum Erfolg dieser globalen Agenda anerkennt.
Allerdings stoßen Bildungsansätze auch an verschiedene Grenzen. In Bezug auf die SDGs liegt eine Ursache dafür an mangelnder politischer Kohärenz. Während z.B. Handelsabkommen strikte Sanktionen bei Verstößen vorsehen, gibt es kaum vergleichbare Mechanismen für die Einhaltung SDGs. Bildungsprojekte können hier zwar aufklären, stoßen jedoch an Grenzen, wenn sie keine strukturellen Veränderungen bewirken können. Außerdem geraten zivilgesellschaftliche Akteur_innen zunehmend unter Druck, insbesondere durch antidemokratische Strömungen und eine angespannte Haushaltslage. Organisationen und Initiativen stehen Widerständen gegenüber, während rechtsextreme Diskurse zunehmend in die gesellschaftliche Mitte vordringen. Dies erschwert es, transformative zivilgesellschaftliche Bildungsansätze in die Breite zu bringen. Bildungsarbeit kann also Wissen für globale Zusammenhänge stärken und Menschen ermutigen selbst aktiv zu werden. Um jedoch tiefgreifende Transformation zu erreichen, muss Bildung durch Engagement und politisches Handeln ergänzt werden, das die Machtverhältnisse hinterfragt, die Ungerechtigkeiten aufrechterhalten.
Räume für Engagement, Eigeninitiative und Partizipation schaffen
Zivilgesellschaftliche Bildungsakteur_innen bieten wichtige Lösungsansätze. Ansätze wie BNE, Globales Lernen und Transformatives Lernen vermitteln nicht nur Wissen, sondern fördern kritisches Denken und die Auseinandersetzung mit Machtstrukturen.
Ein wesentlicher Hebel, um transformative Prozesse voranzutreiben, ist die Verknüpfung von formaler und non-formaler Bildung. Viele Lernprozesse, die Engagement und Aktivismus fördern, finden außerhalb des formalen Bildungssystems statt – etwa in Jugendverbänden, NGOs oder Sportvereinen. Diese praxisorientierten, partizipativen Räume können Vorbilder für formale Bildungseinrichtungen sein. Dort lernen Menschen, wie sie selbst Veränderungen gestalten und demokratische Prozesse mitbestimmen können.
Ein Beispiel für ein solches Engagement ist der „Runde Tisch Klimabildung“ im Kreis Pinneberg. Hier vernetzen sich Schülerinnen und Akteur_innen der BNE, um nachhaltige Schulentwicklungsprojekte zu initiieren. Initiativen wie der „FREI DAY“ der Schule im Aufbruch bieten ein weiteres Beispiel dafür, wie BNE erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden kann. In diesem Modell wird einmal pro Woche ein Freiraum im Stundenplan geschaffen, in dem sich Schülerinnen eigenständig mit Themen der Nachhaltigkeit beschäftigen. Sie wählen selbst, welche Aspekte der SDGs sie bearbeiten wollen, und arbeiten dabei eng mit außerschulischen Partnerinnen zusammen. Dieser Ansatz zeigt, wie projektbasiertes Lernen in die formalen Bildungsinstitutionen integriert werden kann und die Eigeninitiative und Partizipation der Lernenden fördern kann.
Macht teilen und kooperative Strukturen schaffen
Trotz positiver Beispiele zeigt sich, dass Bildungsarbeit allein nicht ausreicht, um die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen herbeizuführen. Es braucht zusätzliche strukturelle Unterstützung und politische Maßnahmen, die den Bildungsansatz stärken.
Tiefgreifende Transformation erfordert Veränderungen auf individueller, kollektiver und systemischer Ebene. Für eine nachhaltige und global gerechtere Zukunft sind breite Bündnisse, Bewegungsräume und Beziehungsarbeit notwendig. Diese müssen partizipativ, inklusiv, machtkritisch und diskriminierungssensibel gestaltet werden. Denn gesellschaftlicher Wandel gelingt nur, wenn Macht geteilt und kooperative Strukturen geschaffen werden. Mit einem aktuellen Projekt arbeitet VENRO daran, Praktiker*innen der Bildungsarbeit und des Engagements zu unterstützen, ihre Arbeit wirksam und transformativ zu gestalten, globale Zusammenhänge in die Breite zu tragen und möglichst viele Menschen zu erreichen.
Mit einer engen Verzahnung von Bildung, Engagement und Aktivismus können wir den Herausforderungen der aktuellen Krisen begegnen und eine gerechtere und nachhaltigere Welt gemeinsam gestalten.